Der englische Begriff Nudging (Substantivierung des Verbs "to nudge"[wikt][1] (deutsch: anstupsen)) bezeichnet die gezielte Lenkung der politischen und gesellschaftlichen Meinungsbildung durch den konzentrierten Einsatz von einschlägigen Anreizen durch Politik und Wirtschaft. Der Begriff wurde 2008 von dem US-amerikanischen Autorenduo (Richard Thaler[wp], Cass Sunstein[wp]) geprägt.
Kurze Einführung
Dem Konzept des "Anstupsens" liegt der Gedanke einer liberalen Gesellschaftssteuerung zu Grunde, der in der westlichen Ländern in allen politischen Parteien rezipiert und adaptiert wurde: Nicht durch Verbote, Befehle und Gesetze (des nach liberaler Auffassung sich passiv zu verhaltenden Staates) soll der Mensch des 21. Jahrhunderts dazu gebracht werden, sich selbst, den Mitmenschen und den überlasteten Sozialkassen partnerschaftlich gegenüber zu handeln, sondern durch Anreize. Der Paternalismus wird von den Bürgern über die Vermittlung der Obrigkeit internalisiert, was natürlich nur dann glaubhaft geschehen kann, wenn man den Menschen nicht mehr als kühl berechnendes, auf seinen Vorteil bedachtes Vernunftwesen (homo oeconomicus[wp]) begreift, wie es uns der dominante, volksverdummende Zweig der Wirtschaftswissenschaften drei Jahrzehnte lang antragen wollte, sondern im Gegenteil: wenn man den Menschen zu einem bloßen Opfer neuronaler Prozesse degradiert, zu einer instinktgesteuerten Reizreaktionsmaschine, die sich ihrer Vernunft nicht wirklich bedienen kann.[2]
Verwendungsbeispiele
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«Die Energiewende als Beispiel für extremes Nudging
Die Energiewende ist ein außergewöhnliches Beispiel für extremes Nudging. Zwar wird von den Verantwortlichen klar und offen gesagt, dass sie die Energiewende befürworten (das spricht gegen Nudging). Zugleich wird aber von vielen Instanzen die Energiewende als etwas so Selbstverständliches dargestellt, dass es für viele Bürger kaum noch möglich ist, sich in der Öffentlichkeit gegen die Energiewende auszusprechen, ohne den Eindruck zu erwecken, ein Tor oder Ewiggestriger zu sein. Der Bürger vertritt dann künftig oft nicht mehr seine ursprüngliche Meinung, sondern diejenige der Eliten. Noch viel schlimmer wird es, wenn er sich zur Unehrlichkeit gezwungen sieht oder gar nichts mehr sagt.
Die Utopie von der Stromversorgung durch Nutzung von Sonnen- und Windenergie
Natürlich wäre es schön, wenn jeder von uns ein Haus mit auf dessen Dach angebrachten Solarzellen hätte, deren Anlagen bei jedem Wetter und auch nachts immer ausreichend Strom erzeugen, und wenn es Windkraftwerke gäbe, die niemanden stören und die Landschaft nicht zerstören und konstant auch bei Windstille Strom erzeugen. Aber das ist Utopie. Utopie ist alles, was aus heutiger Sicht nicht realisierbar ist.» - Klaus Peter Krause[wp][3]
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«Volkserziehung mit Psychotricks: Regierungen in aller Welt machen gerade vor, wie man mit kleinen Anstößen Bürger zur Vernunft bringt. "Nudging" nennt sich das Konzept, vom englischen Wort "to nudge" für anstupsen. In Großbritannien hat etwa eine Nudge-Einheit ausgetüftelt, dass Menschen Steuerrückstände schneller begleichen, wenn man sie darauf hinweist, die Mehrheit habe schon gezahlt. Derartige Methoden werden zwar als Paternalismus kritisiert, aber mal ehrlich: Es wäre doch leichter, wenn Mann, Kinder und Kollegen machen würden, was man will. Wir wissen ohnehin besser, was gut ist für sie.» - Brenda Strohmaier[4]
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«Die Stellenausschreibung war ungewöhnlich: "Das Bundeskanzleramt sucht am Dienstort Berlin für das Referat Stab Politische Planung, Grundsatzfragen und Sonderaufgaben befristet bis zum Ende der 18. Legislaturperiode drei Referenten", hieß es vergangenen August. Die drei Bewerber sollten "hervorragende psychologische, soziologische, anthropologische, verhaltensökonomische bzw. verhaltenswissenschaftliche Kenntnisse" haben. "Merkel will Psycho-Trainer anheuern", wunderte sich die "Bild"-Zeitung.
Nur wollte die Bundeskanzlerin sich nicht selbst auf die Couch legen. Die drei gesuchten Experten sollen der Kanzlerin beim "wirksamen Regieren" helfen. Merkel übernimmt damit einen Ansatz, den die amerikanische oder britische Regierungen schon seit Jahren anwenden. Das sogenannte Nudging.
Der Staat nutzt dabei Erkenntnisse aus der Verhaltensökonomie, baut in Gesetze kleine Kniffe ein und bringt Bürger über kleine "Stupser" dazu, sich besser zu verhalten: Energie zu sparen, fürs Alter vorzusorgen oder sich gesünder zu ernähren.
"Es geht um einen völlig neuen politischen Ansatz. Man kann ohne Gesetze und Verordnungen seine Ziele erreichen", schwärmt Wirtschaftsprofessor Cass Sunstein, der als geistiger Vater des Stups-Ansatzes gilt, seit er 2008 seinen Bestseller "Nudge: Improving Decisions About Health, Wealth, and Happiness" veröffentlichte.»[5]
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«Kritiker sehen im Nudging eine besonders hinterhältige Form der Gängelei, bei der der Staat den Bürger ohne demokratische Kontrolle manipuliert, bevormundet und sich so letzten Endes seinen Musterbürger formt.
Die Verhaltensökonomie hat die Wirtschaftswissenschaft in den vergangenen Jahren kräftig durcheinandergewirbelt. Sie stellt das lange in Stein gemeißelte Modell des rein rational handelnden Homo Oeconomicus[wp] infrage. Menschen sind laut Verhaltensökonomen keine rein rationalen Wesen. Stattdessen tun sie heute etwas, das sie morgen schon bereuen.»[5]
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- Was ist der Unterschied zwischen einem Nudge und einer simplen Information?
- Ein Nudge ist eine Information, die mit einer bestimmten Lenkungsabsicht konstruiert wurde. Nämlich so, dass man aus mehreren Handlungsoptionen spontan eine bestimmte wählt. Die Autoren des Buchs "Nudge", Richard Thaler und Cass Sunstein, vergleichen das mit einer Elefantenmutter, die ihrem Jungen einen Nudge, also einen Stups in die "richtige" Richtung - etwa zum Wasserloch - gibt. Natürlich kann ein Stupser so oder so verwendet werden. Die Werbung nutzt ihn, um Kunden für ihre Interessen zu manipulieren. Der Staat kann Nudging aber verwenden, damit Menschen die für sie bessere Wahl treffen.
- Das setzt voraus, dass der Staat stets weiß, was das Richtige für die Menschen ist.
- Aber das nehmen wir ja auch bei Gesetzen an. Tatsächlich glaube ich, dass die meisten Politiker zum Wohl der Bürger agieren wollen - auch wenn das nicht immer gelingt.
- Nudges befassen sich aber oft mit Entscheidungen, die man per Gesetz nie regeln würde, z. B. die Wahl von gesünderem Essen. Hat man nicht das Recht, hier in Ruhe gelassen zu werden? Ein Recht auf Unvernunft?
- Zu glauben, dass es Entscheidungen ganz frei von Beeinflussung gibt, ist doch eine Illusion. Wir werden ständig gelenkt, etwa schon dadurch, wo was im Supermarkt platziert ist.» - Erich Kirchler im Interview mit "Die Presse"[6]
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«Das digitale Self-Nudging überträgt die trivialpsychologischen "Erkenntnisse" der neuerdings zu "Behavioristen"[wp] geadelten "Wissenschaftler" auf die private Ebene. Das hat den Vorteil, dass auch Menschen wie Sahra Wagenknecht[wp] sich nicht mehr wie Opfer einer Verführungsindustrie vorkommen müssen, die uns Willenlose dazu bringt, laufend bei McDonalds einkehren und stets das neueste IPhone erwerben zu wollen, im Gegenteil: Die Konformismus-Diktatur der Großkonzerne hat dank des digitalen Self-Nudgings ein Ende, weil wir uns nicht mehr dressieren lassen, sondern dazu übergehen, uns freiwillig selbst zu dressieren.» - Dieter Schnaas[2]
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«Mitmenschen manipulieren klingt nicht sehr schön. Das neue Modewort heißt daher "Nudging". Es stammt aus der Verhaltenspsychologie und wird vom englischen "to nudge" für anstupsen, abgeleitet.» - Evelin Past[7]
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«"Nudging" und das dahinter liegende Konzept des "liberalen Paternalismus" treffen nicht nur in der notorisch kritischen Netz-Community auf die erwartbaren Anti-Reflexe. Dabei könnte es - richtig verstanden und benutzt - ein sehr nützliches und brauchbares Paradigma für das Design sozialer Systeme abgeben.» - Evelin Past[8]
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Einzelnachweise
- ↑ to nudge: "To push against gently, especially in order to gain attention or give a signal.", aus "The Free Dictionary": nudge
- ↑ 2,0 2,1 Dieter Schnaas: "Gute Vorsätze: Anleitung für alle Sich-Selbst-Anstubser" - Digitales Self-Nudging, Wirtschaftswoche am 1. Januar 2013
- ↑ Klaus Peter Krause[wp]: Gängelei auf Samtpfoten: Die sanfte Zwangsbeglückung, ef-magazin am 21. Mai 2015 (Das Perfide am Nudging ist seine scheinbare Harmlosigkeit) (siehe auch Solarkritik)
- ↑ Brenda Strohmaier: So machen Ihre Mitmenschen, was Sie wollen, Die Welt am 20. Mai 2015 (Sie wollen Ihren Dickkopf durchsetzen? Hier sind neun Psychotricks, wie Sie Ihren Partner ändern können, Kollegen zur Arbeit motivieren oder Ihre Kinder mit Leichtigkeit ins Bett bekommen.)
- ↑ 5,0 5,1 Jan Dams, Anja Ettel, Martin Greive, Holger Zschäpitz: Verhaltensökonomie: Merkel will die Deutschen durch Nudging erziehen, Die Welt am 12. März 2015 (Mit Strategien aus der Verhaltensforschung will Kanzlerin Merkel die Deutschen zu Musterbürgern machen. Kritiker halten das sogenannte Nudging für eine hinterhältige Form der Gängelei.)
- ↑ Ulrike Weiser: Nudging: "Wir werden ständig gelenkt", Die Presse am 16. Mai 2015 (Darf der Staat seine Bürger durch Nudges, also subtile Anreize, zu einem besseren Leben erziehen? Wirtschaftspsychologe Erich Kirchler sagt: durchaus.)
- ↑ Evelin Past: Cheferziehung mit Psychotricks - "Nudging" macht es möglich, Wirtschaftsblatt am 21. Mai 2015 (Die Führungskraft umstimmen, die Kollegen motiviern oder einfach seine eigene Meinung durchsetzen? Mit den psychologischen Tricks von "Nudging" alles kein Problem, denn menschliche Entscheidungen können durch simple Faktoren gesteuert werden.)
- ↑ Evelin Past: Nudge! Nudge! - Was Design von Verhaltenspsychologie lernen kann, Re-Publica am 6. Mai 2015 - 18:45 bis 19:15 Uhr (Drei staatliche Steuerungswerkzeuge: Anreiz/Nudging, Verbote/Gesetze und Aufklärung)
Netzverweise