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Nachwuchsdilemma

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Hauptseite » Gesellschaft » Demographie » Nachwuchsdilemma

Das Nachwuchsdilemma beschreibt die gesellschaftliche Situation, in der das Individuum den persönlichen Aufwand bei Schwangerschaft, Aufzucht und Betreuung der Kinder hat, die Allgemeinheit hingegen den Nutzen hat. In einer modernen Gesellschaft, wo der wirtschaftliche Bereich in der Familie verschwindet, bedeuten Kinder keinen wirtschaftlichen Nutzen mehr (Kinderarbeit ist verboten), hingegen profitiert von den Steuern und Sozial­abgaben, die diese Kinder erwirtschaften, die Allgemeinheit.

Das Dilemma[wp], dass sich hinter diesem gesellschaftlichen Problem verbirgt, ist in der Spieltheorie[wp] als Gefangenen­dilemma bekannt.

Gefangenendilemma

Das Gefangenendilemma ist ein zentraler Bestandteil der Spieltheorie[wp]. Bei dem Dilemma[wp] handelt es sich um ein Spiel[wp] mit zwei Spielern.

Die Spieler haben die Möglichkeit zusammenzuarbeiten, um eine hohe Auszahlung zu erzielen, oder können sich für eine geringere Auszahlung gegenseitig verraten. Beide Spieler müssen ihre Strategie ohne Kenntnis der Wahl des jeweils anderen Spielers festlegen (dies geschieht automatisch, wenn sie es gleichzeitig tun). Es ist daher möglich, dass ein Spieler das Gegenteil des andern macht. In diesem Fall profitiert nur der Spieler, der den anderen verrät.

Da für beide Spieler damit identische Bedingungen vorliegen, ist das Gefangenen­dilemma ein symmetrisches Spiel. Des Weiteren kennen beide Spieler die eigenen Strategie­möglichkeiten und die des anderen Spielers und die jeweils dazu­gehörigen Auszahlungen für beide Spieler.

Das Gefangenendilemma taucht bei einer Vielzahl soziologischer und ökonomischer Frage­stellungen auf. In den Wirtschafts­wissen­schaften wird das Gefangenen­dilemma als Teil der Spieltheorie auch den entscheidungs­orientierten Organisations­theorien[wp] zugeordnet.

Entwicklung und Namensgebung

Die Grundkonzeption des Gefangenen­dilemmas wurde in den 1950er Jahren formuliert, um abstrakte theoretische Resultate zu veranschaulichen. Es geht dabei zu zeigen, wie individuell rationale Entscheidungen zu kollektiv schlechteren Ergebnissen führen können. Diese Ergebnisse werden auch in der Wirtschaftsethik[wp] diskutiert.

Die Bezeichnung "Gefangenendilemma" wurde aufgrud ihrer Anschaulichkeit gewählt. Dabei geht es um das Szenario eines sozialen Dilemmas[wp], wobei zwei (schuldige) räumlich getrennte Untersuchungs­häftlinge vor der Wahl stehen zu leugnen oder zu gestehen. Für den Einzelnen ist es am sichersten zu gestehen, beidseitiges Leugnen aber verspricht das beste Gesamtergebnis.

Seitdem hat sich die Bezeichnung Gefangenen­dilemma für sämtliche Inter­aktions­beziehungen mit denselben Rahmenbedingungen (zwei Akteure, je zwei Handlungs­alternativen, symmetrische Aus­zahlungs­möglichkeiten, keine Möglichkeit der Absprache, wechselseitige Interdependenzen) etabliert.

Beschreibung der Situation

Zwei Gefangene werden verdächtigt, gemeinsam eine Straftat begangen zu haben. Beide Gefangene werden in getrennten Räumen verhört und haben keine Möglichkeit, sich zu beraten bzw. ihr Verhalten abzustimmen. Die Höchststrafe für das Verbrechen beträgt sechs Jahre. Wenn die Gefangenen sich entscheiden zu schweigen (Kooperation), werden beide wegen kleinerer Delikte zu je zwei Jahren Haft verurteilt. Gestehen jedoch beide die Tat (Defektion), erwartet beide eine Gefängnisstrafe, wegen der Zusammen­arbeit mit den Ermittlungs­behörden jedoch nicht die Höchststrafe, sondern lediglich von vier Jahren. Gesteht nur einer (Defektion) und der andere schweigt (Kooperation), bekommt der erste als Kronzeuge eine symbolische einjährige Bewährungs­strafe und der andere bekommt die Höchststrafe von sechs Jahren.

In einer Auszahlungsmatrix eingetragen ergibt sich inklusive des Gesamt­ergebnisses folgendes Bild:

  B schweigt B gesteht
A schweigt –4 A: −2 B: −2 –7 A: −6 B: –1
A gesteht –7 A: –1 B: −6 –8 A: −4 B: −4

Beschreibung des Dilemmas

Die Auszahlung eines Spielers hängt somit nicht nur von der eigenen, sondern auch von der Entscheidung des Komplizen ab (Interdependenz[wp] des Verhaltens).

Ergebnisse

–1 "Versuchung" Belohnung für einseitigen Verrat (individuelle Freiheit)
–2 "Belohnung" Belohnung für Kooperation von A und B (nur zwei Jahre gemeinschaftliche Strafe)
–4 "Bestrafung" Bestrafung für gegenseitigen Verrat (vier Jahre Strafe)
–6 "Des Gutgläubigen Belohnung" Bestrafung für das Vertrauen, welches einseitig durch den Partner gebrochen wurde (sechs Jahre Strafe)

Kollektiv ist es objektiv für beide vorteilhafter zu schweigen. Würden beide Gefangenen kooperieren, dann müsste jeder nur zwei Jahre ins Gefängnis. Der Verlust für beide zusammen beträgt so vier Jahre, und jede andere Kombination aus Gestehen und Schweigen führt zu einem höheren Verlust.

Individuell scheint es für beide vorteilhafter zu sein auszusagen. Für den einzelnen Gefangenen stellt sich die Situation individuell so dar:

  1. Falls der andere gesteht, reduziert er mit seiner Aussage die Strafe von sechs auf vier Jahre;
  2. falls der andere aber schweigt, dann kann er mit seiner Aussage die Strafe von zwei Jahren auf ein Jahr reduzieren!

Individuell gesehen ist als Strategie also auf jeden Fall "gestehen" zu empfehlen. Diese Aussage hängt nicht vom Verhalten des anderen ab, und es ist anscheinend immer vorteilhafter zu gestehen. Eine solche Strategie, die ungeachtet der gegnerischen gewählt wird, wird in der Spieltheorie als 'dominante Strategie' bezeichnet.

Das Dilemma beruht darauf, dass kollektive und individuelle Analyse zu unterschiedlichen Handlungs­empfehlungen führen.

Die Spielanlage verhindert die Verständigung und provoziert einen einseitigen Verrat, durch den der Verräter das für ihn individuell bessere Resultat "ein Jahr" (falls der Mitgefangene schweigt) oder vier statt sechs Jahre (falls der Mitgefangene gesteht) zu erreichen hofft. Verfolgen aber beide Gefangenen diese Strategie, so verschlimmern sie - auch individuell - ihre Lage, da sie nun je vier Jahre statt der zwei Jahre Gefängnis erhalten.

In diesem Auseinanderfallen der möglichen Strategien besteht das Dilemma der Gefangenen. Die vermeintlich rationale, schrittweise Analyse der Situation verleitet beide Gefangene dazu zu gestehen, was zu einem schlechten Resultat führt (suboptimale Allokation[wp]). Das bessere Resultat wäre durch Kooperation erreichbar, die aber anfällig für einen Vertrauensbruch ist. Die rationalen Spieler treffen sich in einem Punkt, der in diesem Fall als Nash-Gleichgewicht[wp] bezeichnet wird. Das Paradoxe ist, dass beide Spieler keinen Grund haben, vom Nash-Gleichgewicht abzuweichen und das, obwohl in diesem Fall des Gefangenendilemmas das Nash-Gleichgewicht der einzige nicht pareto-effiziente[wp] Zustand ist.

Vertrauen

Das Dilemma der Teilnehmer beruht besonders auf der Unkenntnis über das Verhalten anderer Teilnehmer. Die optimale Strategie für beide zusammen wäre, wenn alle Mitspieler einander vertrauten und miteinander kooperierten. Das Vertrauen kann auf zweierlei Art erzielt werden: Zum einen durch - nach den ursprünglichen Spielregeln nicht erlaubte - Kommunikation und entsprechende Vertrauens­beweise, zum anderen durch Strafe im Falle des Vertrauensbruches.

Der Ökonom und Spieletheoretiker Thomas Schelling[wp] geht in seinem Werk The Strategy of Conflict (deutsch: Die Strategie des Konflikts) auf solche Probleme unter den Bedingungen des Kalten Krieges[wp] ein (Gleichgewicht des Schreckens[wp]). Die Bestrafung für einseitigen Vertrauensbruch wäre so groß gewesen, dass er sich nicht lohnte. Beim wiederholten Spiel des Gefangenendilemmas beruhen die meisten Strategien darauf, dass man Informationen aus vorhergehenden Schritten verwendet. Wenn der andere in einem Schritt kooperiert, vertraut die erfolgreiche Strategie Tit for Tat ("Wie du mir, so ich dir") darauf, dass er es weiterhin tut, und gibt ihrerseits einen Vertrauensbeweis. Im entgegen­gesetzten Fall bestraft sie, um zu verhindern, dass sie ausgenutzt wird.

William Poundstone weist darauf hin, dass es sich nicht um ein Dilemma handele, wenn man auf Grund des Vertrauens sofort und immer Kooperation wählt.[1]

Schuld und Unschuld

Im Gefangenendilemma spielt die Frage von tatsächlicher Schuld oder Unschuld für das Resultat keine Rolle. Das wirkt sich so aus, dass auch der Unschuldige besser wegkommt, wenn er gesteht - in dem Fall für etwas, das er nicht getan hat. Da moralische Bedenken und die Hoffnung auf Erweis der Unschuld den Unschuldigen davon abhalten zu gestehen, was er nicht getan hat, muss er dann oft die schlechtere Stellung einnehmen, die sich aus dem Nichtgeständnis ergibt. Wenn die Strafe für Nicht­gestehen sehr hoch ist, gestehen auch viele Unschuldige alles. Das Dilemma kommt insbesondere bei Schauprozessen zum Tragen.

Beschreibung der Verhaltensoptionen

Ob die beiden Möglichkeiten, sich zu verhalten, sinnvollerweise als Vertrauen/Verrat, Kooperation/Verweigerung oder Altruismus[wp]/Egoismus beschrieben werden, hängt unter anderem von der genauen Form der Auszahlungs­matrix ab. Ersetzt man im Vergleich zu obiger Matrix -2 durch 2, 0 durch 3, -5 durch 0 und -4 durch 1, liegt beispielsweise Altruismus/Egoismus als Interpretation näher: Beide Spieler beginnen mit einem Gut. Ein Spieler kann auf sein Gut verzichten (Altruismus). Der Mitspieler erhielte dafür zwei (!) Güter. Behält er sein Gut (Egoismus), erfolgt keine Bestrafung oder Ähnliches. Er kann das Spiel bei einem altruistischen Mitspieler mit drei Gütern abschließen, ansonsten behält er sein eigenes Gut.

Beispiele

Aus Politik und Wirtschaft

Das Gefangenendilemma lässt sich auf viele Sachverhalte in der Praxis übertragen. Vereinbaren beispielsweise zwei Länder eine Rüstungskontrolle, so wird es immer individuell besser sein, heimlich doch aufzurüsten. Keines der Länder hält sich an sein Versprechen und beide sind durch die Aufrüstung schlechter gestellt (höheres Gefahrenpotential, höhere ökonomische Kosten), allerdings besser, als wenn nur der jeweils andere aufrüstete (Gefahr einer Aggression durch den anderen).

Auch in der Wirtschaft finden sich Beispiele für das Gefangenendilemma, etwa bei Absprachen in Kartellen[wp] oder Oligopolen[wp]: Zwei Unternehmen vereinbaren eine Outputquote (zum Beispiel bei der Ölförderung), aber individuell lohnt es sich, die eigene Quote gegenüber der vereinbarten zu erhöhen. Beide Unternehmen werden mehr produzieren. Das Kartell platzt. Die Unternehmen im Oligopol sind aufgrund der erhöhten Produktion gezwungen, die Preise zu senken, wodurch sich ihr Monopolgewinn[wp] schmälert.

Konkurrieren mehrere Firmen auf einem Markt, erhöhen sich die Werbeausgaben immer weiter, da jeder die anderen ein wenig übertreffen möchte. Diese Theorie konnte 1971 in den USA bestätigt werden, als ein Gesetz zum Werbeverbot für Zigaretten im Fernsehen verabschiedet wurde. Es gab kaum Proteste aus den Reihen der Zigaretten­hersteller. Das Gefangenen­dilemma, in das die Zigaretten­industrie geraten war, wurde durch dieses Gesetz gelöst.

Beachtenswert ist das Anbieterdilemma[wp], das zu einer Beeinflussung der Preise für angebotene Güter[wp] führt. Zwar profitieren Anbieter bei Vorliegen des Dilemmas nicht, jedoch kann sich die Wohlfahrt[wp] einer Volkswirtschaft[wp] insgesamt erhöhen, da der Nachfrager durch niedrige Preise profitiert. Durch staatlichen Eingriff in Form von Wettbewerbspolitik[wp] wird ein Anbieter­dilemma häufig künstlich generiert, indem beispielsweise Absprachen zwischen Anbietern untersagt werden. Somit sorgen Institutionen für mehr Wettbewerb[wp], um den Verbraucher zu schützen.

Einfluss auf den gesellschaftlichen Nutzen

Inwiefern das Gefangenendilemma den gesellschaftlichen Nutzen verbessert oder verschlechtert, hängt vom betrachteten Sachverhalt ab. Im Fall eines Kartells oder Oligopols führt das Gefangenen­dilemma zu einer Verbesserung der Situation. Das "Marktversagen" durch ein verringertes Angebot kann behoben werden. Betrachtet man allerdings die Waffen­aufrüstung von Staaten oder die Werbe­ausgaben von Firmen, dann führt das Gefangenen­dilemma zu einem gesellschaftlichen Nutzen, da lediglich Kosten geschaffen werden, die zu keinem neuen Nutzen führen.

Karl Homann[wp] geht in seiner Konzeption einer Wirtschaftsethik[wp] davon aus, dass es Aufgabe der Staaten bzw. des Gesetzgebers sei, in der Gestaltung der Rahmen­ordnung darauf hinzuwirken, dass erwünschte Dilemma­situationen aufrechterhalten werden und dass unerwünschte Dilemma­situationen durch die Schaffung bzw. Veränderung von Institutionen überwunden werden. So können beispielsweise gesetzliche Mindest­standards bei der Sicherung von Konsumenten­rechten (z. B. AGB-Gesetz[wp]) ein Misstrauen dem Verkäufer gegenüber (unerwünschte Dilemma­situation) ausräumen und so zu mehr Handel führen; gleichzeitig ist die Konkurrenz zwischen den jeweiligen Verkäufern und den jeweiligen Käufern als erwünschte Dilemma­situation aufrecht­zu­erhalten.

Nachwuchsdilemma

Das Nachwuchsdilemma besteht nun darin, dass die gesellschaftlich (kollektiv) günstigste Lösung darin bestünde, wenn alle Bürger zwei Kinder bekämen und so die Kosten für Nachwuchs für alle minimiert werden und auch gleich verteilt sind. Der gesellschaftliche Verrat besteht nun darin, beispielsweise die Alters­sicherung durch die Kinder anderer finanzieren zu lassen und sich selbst die Kosten für eigenen Nachwuchs zu sparen.

Der Verrat birgt aus individueller Sicht den höchsten Nutzen; dies aber unter der Voraussetzung, dass die anderen Bürger kooperieren. Da es sich bei der Dilemmastruktur aber um eine symmetrische Situation handelt, gilt dieser Anreiz zum Verrat für jeden Bürger. Wenn sich nun alle (oder nur sehr viele) gegen die Kooperation entscheiden, dann führt die Familien­planung, die aus individueller Perspektive als optimale Entscheidung erschien, zu dem demographischen Problem (Bevölkerungs­entwicklung) mit stetig zurückgehenden Geburten­zahlen.

  B mit Kindern B kinderlos
A mit Kindern –4 A: −2 B: −2 –7 A: −6 B: –1
A kinderlos –7 A: –1 B: −6 –8 A: −4 B: −4

Dieses gesellschaftliche Problem kann nur durch eine übergeordnete Instanz verhindert werden, die die Alternative 'Verrat' bestraft und somit die 'Kooperation' als vorzugs­würdig erscheinen lässt. Früher erfüllte die Religion diese Funktion. Sie erfüllt sie auch heute noch, was sich darin zeigt, dass religiöse Menschen tendentiell mehr Nachwuchs haben als säkular eingestellte Paare. Da aber alle Wohlfahrtsstaaten mit ihren Sozial­systemen[wp] die Alternative 'Verrat' belohnen, liegt praktisch in allen westlichen Industrie­staaten die Geburtenrate (Anzahl der Geburten) unter der bestands­erhaltenden 2,1 Kinder pro Frau.

–1 "Versuchung" Belohnung für einseitige Kinderlosigkeit (individuelle Freiheit)
–2 "Belohnung" Belohnung für Kooperation (alle ziehen zwei Kinder groß)
–4 "Bestrafung" Bestrafung für allseitige Kinderlosigkeit (demographische Katastrophe)
–6 "Des Gutgläubigen Belohnung" Bestrafung für einseitige Kinderaufzucht (Freiheit der anderen)

Einzelnachweise

  1. William Poundstone[wp], Prisoner's Dilemma: John von Neumann[wp], Game Theory, and the Puzzle of the Bomb, Anchor/Random House, 1992

Querverweise

Netzverweise

Dieser Artikel basiert auf dem Artikel Gefangenendilemma (13. August 2011) aus der freien Enzyklopädie Wikipedia. Der Wikipedia-Artikel steht unter der Doppellizenz GNU-Lizenz für freie Dokumentation und Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Unported (CC BY-SA 3.0). In der Wikipedia ist eine Liste der Autoren verfügbar, die vor Übernahme in WikiMANNia am Text mitgearbeitet haben.