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Apparatschik
Apparatschik (russisch: аппара́тчик, in etwa "Person des Apparats", Mehrzahl Apparatschiki oder Apparatschiks) ist ein aus dem Russischen stammendes Lehnwort[wp] für einen bestimmten Typus eines Funktionärs oder Bürokraten. Nach Pierre Bourdieu[wp] ist der Apparatschik vor allem dadurch gekennzeichnet, dass sein zentrales oder gar einziges soziales Bezugssystem der organisatorische Apparat ist, dem er seine gesellschaftliche Stellung verdankt.[1]
Der Begriff fand ursprünglich zumeist Gebrauch als abwertende Bezeichnung für die Mitglieder der Parteiapparate der realsozialistischen Staaten, insbesondere jenem der UdSSR, das heißt der KPdSU[wp], später wurde das Konzept aber auch auf andere Staats- und Organisationsformen übertragen, beispielsweise die EUdSSR. Apparatschik wurde in zahlreichen Sprachen ein Lehnwort, für das Englische ist beispielsweise der Gebrauch seit 1941 belegt.[2] Begriffsähnlich ist das Konzept des "Funktionärs", das jedoch oft auch neutral im Sinne der Ausübung einer Funktion für eine gesellschaftliche Gruppe verwendet wird.
Theorieansätze
Aufgrund der negativen Valenz des Apparatschik-Begriffs sind theoretische Abhandlungen über seinen Bedeutungsgehalt eher selten. Ebenfalls rar sind Abhandlungen über die Ontogenese[wp] von Apparatschiki. Einen ersten Versuch unternahmen 1963 Zbigniew Brzeziński[wp] und Samuel P. Huntington[wp], die dem Berufsfunktionär des sowjetischen Apparatschik den amerikanischen "Cincinnatus" gegenüberstellten. Charakteristisch seien dabei für die nach der Russischen Revolution von 1917[wp] stark wachsende Zahl von Apparatschiks, dass sie - wie auch der Cincinnatus - zwar über spezielle Kenntnisse in einem Politikgebiet verfügen mögen, jedoch primär Generalisten seien, die zudem geographisch mobil seien müssen, um den Weisungen der Parteielite folgen zu können.[3] Auch werden Apparatschiks oft auch ohne fachliches Training in verschiedenen Themengebieten eingesetzt.[4] Dem stetigen Wechsel der Themengebiete kommt der Habitus des Apparatschiks entgegen, der - anders als der des regelorientierten Technokraten[wp] - vor allem befehlsorientiert geprägt ist.[5]
Abgrenzung
Anders als Parteifunktionäre in westlichen Demokratien, die fast ausschließlich Zweitkarrieren in einer oder mehreren Professionen unterhalten, fehlt dem Apparatschik jegliches zweites berufliches Standbein: Seine Karriere kann er nur innerhalb der Parteibürokratie voranbringen.[6] Zudem wurden in der Sowjetunion und ihren Vasallenstaaten Qualifikationen für Parteikarrieren professionell formalisiert und in speziellen Curricula in Parteischulen vergeben.[7]
Apparatschiki bilden in der Regel eine enggestrickte, klar dogmatisch indoktrinierte, professionelle Gemeinschaft, in der es strikte Hierarchien gibt und deren Ziel die Kontrolle der Staatsgeschäfte ist. In der Sowjetunion zeigten sich dabei Hinweise, dass eine technische Ausbildung vorteilhaft sei, um Zugang zu den Kreisen von Apparatschiki zu erhalten. Der stärkste Anreiz für eine Apparatschik-Karriere ist dabei der Zuwachs an Macht. Um diesen zu sichern, empfiehlt sich ein Befolgen der Anforderungen von hierarchisch über einem stehenden Apparatschiks und das Antreiben von Untergebenen. Der Erfolg des Apparatschiks wird dabei kaum ökonomisch bewertetet, sondern bemisst sich primär an der technischen Umsetzung der ihm erteilten Aufgaben, deren Sinnhaftigkeit er nicht zu hinterfragen hat. Dabei hängt die Karriere des Apparatschiks lediglich von der Bewertung durch seine Vorgesetzten ab; in der Regel erfährt er keinerlei Rückhalt in der breiten Öffentlichkeit, was ihn abermals vom "Cincinnatus", dessen größtes Kapital seine Wählerstimmen sind, unterscheidet. Damit einhergehend steigen Apparatschiki eher durch politische Loyalität denn Fachkompetenz auf. Zwar sind sie im Zuge dessen auch in die Parteiideologie miteingebunden, verfolgen aber im Gegensatz zu beispielsweise Berufsrevolutionären nicht selbst eine stringente Ideologie unabhängig von der im Apparat vorherrschenden.
Diese Eigenschaften ermöglichten es Apparatschiki, häufig bis zur Spitze bürokratischer Systeme aufzusteigen; archetypischerweise abermals in der Sowjetunion. Prominente Beispiele für solche Karrieren bilden Stalin[wp], Chruschtschow[wp], Walter Ulbricht[wp][8], Leonid Breschnew[wp] und Konstantin Tschernenko[wp].
Trivia
Der Begriff Apparatschik wurde von den Massenmedien aufgegriffen, um eine Person aus diesem System zu kennzeichnen, die sich (zumindest scheinbar) an alle Vorgaben seiner Vorgesetzten hält, sich nach der jeweils aktuellen Linie der politischen Führung richtet und es versteht, sich durch Unterwürfigkeit und vorauseilenden Gehorsam bei seinen Vorgesetzten beliebt und möglichst unentbehrlich zu machen.
Einzelnachweise
- ↑ Pierre Bourdieu: Der Tote packt den Lebenden, VSA 1997, S 44f.
- ↑ Loan words Russian[ext]; Merriam Webster: Apparatchik
- ↑ Brzezinski, Zbigniew & Samuel P. Huntington (1963): Cincinnatus and the Apparatchik, World Politics 16 (1): 52-78, S. 55f
- ↑ Pearson, Raymond (1998): The Rise and Fall of the Soviet Empire, Basingstoke: Macmillan, S. 20
- ↑ Jowitt, Kenneth (1975): Inclusion and Mobilization in European Leninist Regimes, World Politics 28(1): 69-96, S. 78
- ↑ Brzezinski, Zbigniew & Samuel P. Huntington, a.a.O., S. 56
- ↑ Brzezinski, Zbigniew & Samuel P. Huntington, a.a.O., S. 57-9
- ↑ Kleßmann, Christoph (1994): Sozialismus unter Vorbehalt? Die kommunistische Machtübernahme in der SBZ/DDR 1945-1952 im Bild der westdeutschen Publikationen, S. 135-150 in Eva Schmidt-Hartmann (Hrsg.): Kommunismus und Osteuropa: Konzepte, Perspektiven und Interpretationen im Wandel, München: Oldenbourg, S. 145
Querverweise
- Bürokrat
- Systemagent
- Berufsfunktionär, Parteifunktionär, Sportfunktionär
- Islamfunktionär
- Politoffizier
- Politschranze